Stand 23.06.2022 21:42

Zum 70. Geburtstag von Ernst Schuberth

Albert Schmelzer

 

Ernst Schuberth wurde am 5. Januar 1939 als drittes von fünf Kindern in Danzig geboren, das zwischen den beiden Weltkriegen unter dem Protektorat des Völkerbundes ein kleiner selbständiger Staat war. Die Eltern stammten aus evangelischen Pfarrhäusern mit weiten geistigen Interessen. Die Wurzeln der Großeltern führen nach Berlin, Bremen, Schlesien und in die Uckermark zu Bauern und Handwerkern. Der Vater hatte eine humanistische Schulbildung mit Hebräisch, Griechisch, Latein, Englisch und Französisch erhalten, die Mutter eine Banklehre gemacht und in Königsberg und Köln zur Handelslehrerin studiert. Für den Vater war nach dem ersten Weltkrieg ein angestrebtes Jurastudium nicht finanzierbar, so wurde er Zöllner beim Danziger Staat.

Der zweite Weltkrieg begann mit dem Polenfeldzug zwar in unmittelbarer Nähe der elterlichen Wohnung, sodass eine Evakuierung notwendig wurde, dann aber lag Danzig lange weit ab vom Kriegsgeschehen. Erst die einsetzenden Bombardierungen und die im kalten Winter 1944 direkt vor dem Haus vorbeiziehenden Flüchtlingstrecks aus Ostpreußen brachten den Krieg in die Nähe. Der Vater blieb lange als Bezirkszollkommissar bei der Familie. Ihn hatte ein Unfall zur Erfahrung der geistigen Welt und über einen Vorgesetzten (Staatsrat Kunst) zur Anthroposophie geführt. In wichtigen Lebenssituationen gaben geistige Erfahrungen entscheidende Richtungsweisungen.

Das Kind zeigte früh eine vielleicht etwas ungewöhnliche Selbständigkeit. Vor allem Hinweise des viereinhalb Jahre älteren Bruders lösten „Forschungsaktivitäten“ aus. So zum Beispiel probierte er, sobald sich ihm die Möglichkeit bot, sich „frei“ zumachen, herankommende Züge von weitem zu hören, indem er ein Ohr auf die Schienen der Eisenbahn legte. Anderes wurde praktisch sehr früh untersucht. Das führte dazu, dass er fünfjährig noch im Herbst 1944 in Danzig-Oliva eingeschultwurde – eine für ihn höchst unerfreuliche Zeit.

Im Januar 1945 konnte die Familie – ohne den Vater – Danzig mit einem Verwundetentransport verlassen. Bei den mütterlichen Eltern fand sie in Wildberg im Kreis Neuruppin eine Bleibe und wurde dort von den Russen überrollt. Eine schwere Hungerzeitmit Krankheit (Typhus) und Tod in der Familie folgte. Das fünfte Kind wurde geboren, als über hundert russische Soldaten auf dem Pfarrhof einquartiert waren. Die mitgeflüchtete väterliche Großmutter nahm sich vor allem des Kindes Ernst an, das erstaunlich gesund blieb. Auf ihrem Schoß hörte er die vielen Erzählungen aus dem Alten Testament. Eine kleine Ausgabe der Evangelien begleitete ihn lange. Irgendwie muss er in dieser Zeit, in der er erst wegen der heranrückenden Front und dann wegen des Typhus im Haus die Schule nicht besuchte,  Lesen gelernt haben.

Der Vater war bei den Endkämpfen um Danzig schwer verwundet worden. Sein Bruder zog ihn aus dem Berg der Toten heraus, und wieder war es ein geistiges Erleben, das ihm die Kraft zum Weiterleben gab. Ein Schiff brachte ihn nach Dänemark und von dort kam er bald in englische Gefangenschaft. Eine Entlassung in die Lüneburger Heide zuVerwandten war möglich und von dort der erste briefliche Kontakt wieder zurFamilie. Im Mai 1946 war für diese in einem siebentägigen Transport die Übersiedlung aus der russischen in die englische Zone möglich. Die Not war so groß, dass das jüngste Kind auf dem Transport starb.

 

Zweieinhalb Jahre lebte die Familie in der Lüneburger Heide, wo der Vater in einer Einrichtung der Inneren Mission Arbeit fand. Dem Jungen blieb zeitlebens die Heidelandschaft die eigentliche Heimat. Unterricht fand in der Dorfschule –erst mit acht, dann mit vier Klassen in einem Raum statt. Erinnerungen an den Umgang mit erwachsenen Behinderten, die in den Kästorfer Anstalten betreut wurden, an das Torfstechen und die Arbeit in der Landwirtschaft sind bis heute lebendig.

 

Die nächste Station war Hannover, wo der Vater wieder als Zollbeamter arbeiten konnte. Der noch neunjährige Ernst kam in die 4. Klasse der Waldorfschule, und damit begann seineWaldorfzeit. „Urzeit war’s, da Ymir hauste…“ wurde gerade von der Klasse mit Fräulein Gottlieb gestampft, als er den Klassenraum betrat. Alles interessierte ihn, allerdings konnte er vor Eifer auch manchmal zu lebhaft werden. Dass man still sein sollte, war störend. Wo er konnte, trug er zum Unterricht bei und war so auch manchmal eine Hilfe für die Klassenlehrerin, als welche ab der fünften Klasse Elisabeth Bantzer wirkte. In der 7. Klasse ließ sie ihn im Erzählteil über mehrere Tage die Autobiografie von Nettelbeck darzustellen. Als das überzeugend gelang, stand für Frau Bantzer fest: „Ernst muss Lehrer werden.“ Am Ende der 8. Klasse wollte Ernst – schulverdrossen – eineSchreinerlehre beginnen. Der Vater gestattete es nicht. Die Liebe zur Arbeitmit Holz blieb.

 

Die Nachmittage und Wochenenden gehörten selbstgewählten Tätigkeiten: der Mithilfe in einer Autowerkstatt oder in der Schulwerkstatt bei Anke-Usche Clausen, dem Modellflugzeugbau, dem Experimentieren, u. a. mit Schwarzpulver, dem Zusammensein mit einem Schäfer und seiner Herde, mit denen er über die Maschwiesen zog und vielem anderen mehr. Als er mit zwölf Jahren stolzer Besitzer eines Fahrrades wurde, weitete sich der Umkreis: Als erstes fuhr er in die etwa siebzig Kilometer entfernte Lüneburger Heide zu einer Treckerfahrerfamilie, beider er den Sommer auf dem Traktor verbrachte. Etwas später wurde, im Rahmen der„Deutschen Jungenschaft (DJ Eins-Elf)“, das Trampen entdeckt und Frankreich erkundet. Von nun an gehörte das Reisen zu Ernsts Leben. Bis zu seinem 20. Jahr„erfuhr“ er sich Spanien, Frankreich, Holland, Belgien, Luxemburg, England und Schottland.

 

Im November 1953,zu Beginn der Oberstufe, war ein erneuter Umzug fällig: Der Vater wurde als einer der ersten Beamten in das Finanzministerium  nach Bonn versetzt. Da die nächste Waldorfschule in Wuppertal lag, war Ernst täglich fünf Stunden auf der Bahn,eine Zeit, die er zu intensiver Lektüre nutzte. Wie er selbst durch seine Allgemeinbildung auffiel, so erhielt er andererseits tief prägende Eindrücke durch die Schule, besonders durch den Deutsch- und Geschichtsunterricht von Carl Brestowski und den Englischunterricht von Frau Sabine Lauterbach. Aber auch andere bedeutende Lehrer sind in ihren Eigenarten unvergesslich – wie Lothar Vogel, Ferdinand Böcking, Roswitha Sydow, Wilhelm Rauthe, Dönges u.a.m.

 

Nach dem Abitur nahm Ernst im Sommersemester 1959 das Lehramtsstudium in Mathematik und Physik in Bonn auf. Von nun an war seine Zeit genau eingeteilt: Sieben Monate im Jahr wurden die gewählten Fächer intensiv studiert, die übrigen fünf Monate aber war er in Dornach, um sich mit der Anthroposophie zu beschäftigen. Der Beschluss dazu war schon während der letzten Jahre der Schulzeit gefallen, nicht zuletzt aufgrund der eingehenden Lektüre von Rudolf Steiners „Philosophie der   Freiheit“, die ihn zur Beobachtung des eigenen Denkens und einem Verständnis der menschlichen Freiheit nicht als Gegebenes sondern als zu Erringendes zutiefst beeindruckte. Sie half ihm in vielen Auseinandersetzungen während des Studiums und im späteren Leben.

Während dieser „Dornacher Jahre“, die Ernst Schuberth durch Putztätigkeiten im Goetheanum finanzierte, wurden Impulse ergriffen und vertieft, die ihn sein Leben lang beschäftigen sollten: Mathematik und Geometrie, das Studium der Farben, die anthroposophischen Sozial­wissenschaften,die biologisch-dynamische Landwirtschaft.

Schon im Alter von zwölf Jahren wurde er Zuhörer eines Gespräches zwischen dem älteren Bruder und dem Vater. Wilhelm Schmundt, der bekannte Hannoveraner Waldorflehrer hatte den Schülern die projektive Geometrie vermittelt. Nun sprach der Bruder von dem Dualitätsgesetz: In jedem geometrischen Satz und in jeder geometrischen Figur kann man (im Rahmen der 3-dimensionalen projektiven Geometrie) die Begriffe Punkt und Ebene austauschen und erhält wieder einen richtigen Satz mit dazugehörigen Figur. So sind Würfel und Oktaeder in diesem Sinn dual. Faszinierend aber nicht völlig überschaubar.

Die ganze Oberstufe über wartete er auf den Augenblick, wo dies Unterrichtsinhalt würde.Es kam nicht. Die Themen blieben im seelischen Untergrund bis zur Herbsttagung 1959 in Dornach, bei der Louis Locher-Ernst einen Vortrag über die projektive Geometrie hielt. Ernst Schuberth hörte fasziniert zu, wie das Bewusstsein sich in exakten Gedankenformen zum Unendlichen erheben kann – das war es, auf was erlange gewartet hatte! Tragischerweise brach die entstehende Zusammenarbeit durch den tödlichen Bergunfall von Louis Locher-Ernst jäh ab, doch bekam Ernst Schuberth die Möglichkeit, den Nachlass des verehrten Lehrers herauszugeben und Neuauflagen seiner Werke zu  bearbeiten.

 

Ein weiteres Thema, das ihn schon lange beschäftigte, war die Frage nach dem Wesen der Farben. Im Kunstunterricht wie auch bei eigenen Versuchen war er immer wieder verzweifelt, weil er das Gefühl hatte, an das eigentlich Künstlerische nicht heranzukommen. Auch Bilder anthroposophischer Maler, die er bei einer Ausstellung in Dornach sah, konnten dieses Gefühl nicht beseitigen – bis er aufWerke von Gerard Wagner traf. Hier erlebte er das, was er ersehnt hatte: Die Farben sprachen sich selber aus und offenbarten Wesenswelten. Begeistert nahm Ernst Malunterricht bei Elisabeth Koch, der engsten Schülerin und späteren Frau Gerard Wagners, und zeitlebens verband die drei eine enge Freundschaft. Heute ist Ernst Schuberth Präsident des Gerard und Elisabeth Wagner- Vereins und Besitzer der größten privaten Sammlung der Werke des Malers.

Auch zu Herbert Witzenmann entstanden damals enge Beziehungen, sie hatten ihre Grundlage in der beiderseitigen Hochschätzung der Philosophie der Freiheit und im gemeinsamen sozialwissenschaftlichen Interesse.  Herbert Witzenmann lud ihn ein,  Mitarbeiter in der Sozialwissenschaftlichen Sektion zu werden. Die Übernahme pädagogischer Verantwortung hatte aber zunächst für ihn Vorrang.

Seit den frühen Kindheitsjahren bei der väterlichen Großmutter in Ostpreußen, dann in der Lüneburger Heide und dem Umherziehen mit dem Schäfer auf den Maschwiesen in Hannover war Ernst der tätige Umgang mit der Natur wichtig. Dieser lebte auf, als er in Dornach beim gemeinsamen Putzen Volker Röll kennenlernte, der sich entschloss, Landwirt zu werden und heute einer Höfegemeinschaft bei Gars angehört.  Dort konnte Ernst oft sein und schließlich  sogar Hofvertretungen übernehmen.

 

Selbstverständlich ging die Dornacher Zeit nicht zu Ende, ohne dass Ernst sich in die Waldorf-Pädagogik vertieft hätte. Nach dem 1. Staatsexamen (1964) arbeitete er zunächst im Mathematisch-Physikalischen Institut von Georg Unger mit und lernte darüber manche Freunde – wie Peter Gschwind - kennen, die auf mathematisch-physikalischem Feld Bedeutendes geleistet haben. Im Jahre 1965/66 absolvierte am Dornacher Lehrerseminar, welches damals von Georg Hartmann geleitet wurde, ein frei gestaltetes Studium; besonders intensiv vertiefte er sich in die Vorträge Rudolf Steiners zur „Allgemeinen Menschenkunde“. 1966/67 folgte eine verkürzte Referendarzeit an dem Eberhard- Ludwigs- Gymnasium in Stuttgart und das 2. Staatsexamen.

Damals zeichnete sich, von Amerika her kommend, die Welle der „neuen Mathematik“ ab: Schon in den Grundschulklassen sollte eine Mengenlehre betrieben werden, die das logische Denken an eine materielle Anschauung band. Ernst Schuberth erkannte die geistige Dimension eines solchen Schrittes: Die Kinder würden zur Unzeit in ein Denken hineingerissen werden, das die lebendige innere Denkerfahrung zu verschütten droht. Um einen solchen gegen den damaligen Mainstream der öffentlichen Meinung stehenden Standpunkt vertreten zu können, war eine differenzierte Argumentation auf wissenschaftlicher Grundlage erforderlich. Er entschloss sich daher zu promovieren. Martin Wagenschein vermittelte als Doktorvater Otto Friedrich Bollnow. In relativ kurzer Zeit gelang das Vorhaben.Die Dissertation mit dem Thema: „Die Modernisierung des mathematischen Unterrichts“ wurde 1969 abgeschlossen, die Promotion erfolgte 1970.

Zwischenzeitlich lagen entscheidende private und auch berufliche Entwicklungen. Schon in der Oberstufenzeit an der Wuppertaler Rudolf Steiner-Schule hatte Ernst eine junge Dame kennen und lieben gelernt, die mit der gleichen Entschiedenheit zur Anthroposophie strebte wie er selbst: Erika Seidel. Während der Studienzeit besuchten sie sich immer wieder, am Silvestertag 1967 heirateten sie. Damals war Erika schon seit vier Jahren Klassen- und Englischlehrerin an der Rudolf Steiner-Schule in München. Ernst folgte ihr nach und übernahm im Schuljahr 1968/69 ihre Klasse als 6. Klasse, die er bis zur 8. führte; gleichzeitig unterrichtete er die 13. Klasse in Physik und erteilte Freien Religionsunterricht.

Diese Liebe erfüllte auch die tiefe Sehnsucht nach der Musik. Erika spielte Geige und ein Mann ohne Streichinstrument schien ihr doch nicht recht zum Heiraten geeignet. Zur Hochzeit stand ein Cello da…

 

Mit der Promotion begannen auch auf Einladung von Ernst Weißert und Ernst-Michael Kranich die ersten Epochen am Stuttgarter Lehrerseminar, aus denen sich bald die Bitte ergab, dort fest mitzuarbeiten. Erst aber schien es Ernst Schuberth notwendig, in der Praxis genügend von den Kindern zu lernen.

Viel gab es in dieser Zeit an den Wochenenden zu tun: In zahlreichen Vorträgen sprach er über die „Neue Mathematik“ und trug damit entscheidend dazu bei, dass die sogenannte„Mengenlehre“ nicht im Unterstufenunterricht der Waldorfschule eingeführt wurde. Inzwischen war seine Dissertation auch in der akademischen Welt vielgelesen und diskutiert worden. Von Professor Dr. Horst Karaschewski wurde Ernst Schuberth nahe gelegt, sich bei der Ausschreibung einer Professur an der PH in Bielefeld zu bewerben. Zum Sommersemester 1974 wurde er zum ordentlichen Professor für Mathematik und ihre Didaktik berufen.

Damit begann eine zweite Phase seines beruflichen Wirkens. Mit der ihm eigenen Intensität stellte er sich nicht nur in die fachlichen, sondern auch in die hochschulpolitischen Auseinandersetzungen seiner Zeit hinein. Wie stark seine Ausstrahlung war, lässt sich daran ermessen, dass er 1976 zum Abteilungsdekan, d. h. zum „Rektor vor Ort“, berufen und bei einer zweiten Amtsperiode fast einstimmig wiedergewählt wurde. Eindringliche kontroverse Debatten ergaben sich mit den Kollegen, welche den Unterricht in Mengenlehre befürworteten; letztlich aber wurde – auch aufgrund der negativen Erfahrungen in den USA – auch an den staatlichen Grundschulen die Einführung der „Neuen Mathematik“ stark zurückgenommen.

 

Mitten in dieser Zeit einer starken Öffentlichkeitswirkung kündigte sich die dritte,entscheidende Phase von Ernst Schuberths beruflicher Tätigkeit an. Ende des Jahres 1977 erreichte ihn die Anfrage von Dr. Benediktus Hardorp, ob er bereit sei, ein Waldorflehrer-Seminar in Mannheim zu begründen: Die Karl Kübel-Stiftung (Bensheim) hatte die Unterstützung eines solchen Projekts in Aussicht gestellt. Ernst Schuberth sagte zu, und so konnte die Arbeit am Pädagogischen Zentrum in Mannheim, nach dem Stuttgarter und dem Wittener Seminar die dritte Ausbildungsstätte im Bund der Freien Waldorfschulen, im Herbst 1978 beginnen.

Wie es Ernst Schuberth gelang, die Fülle der anfallenden Aufgaben zu meistern, gehört zu den Geheimnissen seiner Persönlichkeit. Neben der unmittelbaren Unterrichtstätigkeit und der Kollegiumsbildung war der Neubau der Freien Hochschule zu realisieren, zudem hielt er (ab 1981 bis 1986) weiterhin Vorlesungen an der Universität in Bielefeld, hielt zahlreiche Vorträge, publizierte und bereitete die Schülerinnen und Schüler der Mannheimer Waldorfschule auf das Abitur vor.

Es gelang ihm,initiative und kompetente Mitarbeiter zu gewinnen, so dass das Seminar schnell an Ausstrahlung gewann. Das verfolgte Sozialprinzip war, dass Entscheidungskompetenz bis in das Finanzielle hinein dorthin verlegt wurde, wo die Arbeit geleistet wird. Dies spiegelt sich bis heute in der Kontenverantwortung der Lehrenden. Als Vorstandskollegen standen ihm in den frühen Jahren Benediktus Hardorp, Erhard Fucke, Götz Werner und Eckehard Behrens im Vorstand zur Seite. Im Kollegium wirkten  herausragende und erfahrene Lehrer wie Hans Georg Krauch für die anthroposophischen Grundlagen, Angelika Kohli für die Klassenlehrer- Ausbildung, Peter Wege für die Sprachgestaltung, Andreas Suchantke für die Biologie, Peter Pütz für das Werken, Sonna Kürzdörfer für die Eurythmie, Albert Schmelzer für die Grundlagenarbeit, Deutsch und Geschichte,  sowie Gisela Baldzun, Ulrich Schöne für das Malen und manche andere bedeutende Persönlichkeit.

Herr Schuberths Auffassung, dass jeder Student während seiner Ausbildung in einer sogenannten„Sozialarbeit“ eine Schülerin oder einen Schüler – zumeist aus bildungsfernen Schichten – betreuen solle, hat das Mannheimer Seminar tief geprägt; das hochaktuelle Motiv einer studienbegleitenden Praxisforschung wurde damit vorweggenommen. Die Begründung eines zur Hochschule gehörenden Waldorf-Kindergartens durch Renate Brecht im sozialen Brennpunkt Mannheim-Neckarstadt West gehört in den Kontext dieses sozialpädagogischen Impulses, der später in der Entstehung der Interkulturellen Waldorfschule seine Fortsetzung finden sollte.

Inzwischen war auch die Familie gewachsen, zwischen 1969 und 1976 wurden drei Töchter und zwei Söhne geboren. Mit großem Einsatz und der ihr eigenen Heiterkeit kompensierte Frau Schuberth die häufige Abwesenheit ihres Mannes, wobei sie noch Zeit fand,an der Mannheimer Waldorfschule Englisch zu unterrichten, Kurse und Beratung in Erziehungsfragen zu geben und im Eltern-Lehrer-Orchester mit zu musizieren.

Wegen seiner erfolgreichen Vortragstätigkeit wurde Herr Schuberth immer wieder angefragt, wenn es darum ging, anthroposophische Auffassungen in der Öffentlichkeit zu vertreten. Eines der zahlreichen Beispiele sei genannt: Am 9. Januar 1986 strahlte das ZDF die weithin beachtete Sendung „Viele Male auf Erden“ aus. Aufgrund einer Bitte des Vorstandes der Anthroposophischen Gesellschaft am Goetheanum in Dornach war es Ernst Schuberth, der die anthroposophische Sicht der Reinkarnation erläuterte. Durch diese Sendung entstanden viele neue Kontakte und Freundschaften. So wurde zusammen mit dem Arzt Günter Schönemann und Otto Ulrich in Bonn ein anthroposophisches Gesprächsforum eingerichtet, an dem Politiker, Ökonomen, Künstler und Wissenschaftler teilnahmen. In dieser Zeit begann Ernst Schuberth, sich tiefer gehend mit den Auswirkungen der Computertechnologie auf das menschliche Denken, das gesellschaftliche Leben und die Pädagogik auseinander zu setzen. Das führte unter anderem dazu, dass er im Mai 1986 und später nochmals nach Bonn zur Anhörung der Enquete-Kommission "Technologiefolgen-Abschätzung"eingeladen wurde und mit dem Beitrag Menschliche Kreativität und Künstliche Intelligenz  Aufmerksamkeit fand. Die Mitarbeit an einem großen Projekt Sozialverträgliche Technikgestaltung in NRW musste durch die beginnenden Osteuropa-Aktivitäten abgebrochen werden.

Sein 1990 veröffentlichtes Buch Erziehung in einer Computergesellschaft ist eine Frucht dieser vielfältigen Auseinandersetzungen mit dem, was als Künstliche Intelligenz in die Welt einzuziehen im Begriffe ist.

Mit der politischen Wende des Jahres 1989 bekam Ernst Schuberths Wirken eine neue,internationale Dimension. Endlich war es möglich, die Waldorfpädagogik in den Ländern des früheren „Ostblocks“ zu verbreiten. Auf Einladung der rumänischen Regierung baute er 1990 eine Waldorflehrerausbildung in Bukarest auf, er hielt öffentliche Kurse über Waldorfpädagogik in Sankt Petersburg und begleitete mit Angelika Kohli die Gründung der dortigen Rudolf Steiner-Schule.

Zur gleichen Zeit erreichte ihn eine Anfrage aus Sacramento/Kalifornien mit der Bitte um Mitwirkung an den Sommerkursen für Klassenlehrer durch Astrid Schmitt-Stegmann. Damit  begann eine lange Zeit der regelmäßigen Mitarbeit in Kalifornien, zu der auch bald die Zusammenarbeit mit Betty Staley im High School Institute, den Weiterbildungskursen für Oberstufenlehrer trat.

Dieses gleichzeitige Wirken im Osten – in jüngster Zeit kamen noch Kurse in Taiwan hinzu -, im Westen und in Mitteleuropa ergibt eine Signatur, die für Ernst Schuberths Persönlichkeit charakteristisch ist: Mit ungeheurer Dynamik und entschiedener Willenskraft werden die Aufgaben ergriffen, die das Leben stellt.Dass neben der vielfältigen Kurs- und Vortragstätigkeit und den organisatorischen Aufgaben auch noch eine Fülle von Publikationen entstanden sind, zeugt von Ernst Schuberths außergewöhnlicher Energie und Konzentrationsfähigkeit.

Die behandelten Themen: Didaktik des Mathematik- und Geometrieunterrichts, Computertechnologie und Pädagogik, Beiträge zur Farbenlehre deuten auf die inneren Fragestellungen und Impulse, die sein Leben bestimmt haben: Wie kann einer zunehmenden Mechanisierung des Geistes ein lebendiges, schöpferisches Denken entgegengestellt werden? Wie können wir Kinder so erziehen und unterrichten,dass sie Fantasie, Tatkraft und Empathie entwickeln? Und, als unabdingbarer Ausgangspunkt jeder Pädagogik: Wie lernen wir, die Kinder zu lieben?

Das Kollegium der Freien Hochschule in Mannheim möchte Herrn Schuberth herzlich zu seinem siebzigsten Geburtstag gratulieren und ihm für seine unermüdliche Tätigkeit danken. Es wünscht für die kommenden Jahre Gesundheit und eine ungebrochene Schaffenskraft, sein Einsatz ist ihm Ansporn und Auftrag zugleich.